Wir sind Menschenwesen mit Bewußtsein. Wir bemühen uns um ein Verständnis des menschlichen Wesens. Im vorigen Kapitel gelangten wir zu der aberwitzig anmutenden Hypothese, daß es eine Zeit gegeben hat, in der das menschliche Wesen in zwei Teile zerfiel: einen Lenker und Leiter namens Gott und einen Gefolgsmann namens Mensch. Keiner von beiden hatte Bewußtsein. Für uns ist das nahezu unbegreiflich. Und da wir unsererseits mit Bewußtsein ausgestattet sind und uns um ein Verständnis der Dinge bemühen, bemühen wir uns, diesen Sachverhalt mit einem anderen Sachverhalt zu vergleichen, der uns aus eigener Erfahrung vertraut ist – denn dies, so sahen wir im Zweiten Kapitel, ist das Wesen des Verstehens. Und dies ist es auch, was ich im nun folgenden Kapitel tun will.
Der bikamerale Mensch
Was die menschliche Seite betrifft, so gibt es da wenig zu sagen, was sie uns vertraut machen könnte, es sei denn, man greift zurück auf das Erste Kapitel und ruft sich in Erinnerung, was alles wir ohne Mitwirkung des Bewußtseins leisten. Doch wie unbefriedigend bleibt eine solche Liste von Negativa. Irgendwie verspüren wir dennoch den Wunsch, uns in Achilleus einzufühlen. Wir meinen noch immer, es müsse doch eigentlich – nein, es muß da unbedingt etwas in seinem Innern vor sich gehen, was er denkt und fühlt. Das heißt, genauso, wie wir es mit uns selbst und unseren Zeitgenossen machen, versuchen wir auch im Innern von Achilleus einen Bewußtseinsraum und eine Analogwelt der Verhaltenswelt zu fingieren.
Aber diese Fiktion, so behaupte ich; ist in bezug auf die Griechen jener Epoche sinnlos!
Vielleicht kann uns die Metapher von etwas, was dem fraglichen Zustand nahekommt, weiterhelfen. Am Steuer meines Autos sitze ich nicht wie jemand, der sich selbst vom Rücksitz aus Anweisungen gibt, wie er zu fahren hat, sondern ich bin jederzeit ohne viel Bewußtsein in meinem Tun als Fahrer »drin«.1 Tatsächlich wird es in aller Regel sogar so sein, daß mein Bewußtsein mit ganz anderen Dingen als dem Fahren befaßt ist, etwa in einer Unterhaltung mit Ihnen befangen, wenn Sie zufällig mein Fahrgast sein sollten, oder auch mit Nachdenken über den Ursprung des Bewußtseins beschäftigt. Das Verhalten meiner Hände, meiner Füße und meines Kopfes spielt sich demgegenüber fast in einer anderen Welt ab. Wenn ich etwas berühre, werde ich berührt; wenn ich den Kopf wende, wendet sich die Welt mir zu; über den Blick stehe ich mit einer Welt in Beziehung, der ich unmittelbar gehorche – gehorche in dem Sinn, daß ich beispielsweise mit dem Wagen auf der Fahrbahn bleibe und ihn nicht auf den Gehsteig lenke. Und nichts von alledem ist mir bewußt. Und auf gar keinen Fall ist es Gegenstand meines logischen Denkens. Ich bin hineingenommen – unbewußt verstrickt, wenn man so will – in ein Globalsystem anhaltender Stimulierungswiderspiele zwischen den Polen »gefährlich« und »sicher«, »angenehm« und »unangenehm«, wobei ich auf Veränderungen der Verkehrslage und bestimmte Einzelheiten der Situation erschrocken oder gelassen, zuversichtlich oder ängstlich reagiere, während mein Bewußtsein unterdessen noch immer mit anderen Dingen befaßt ist.
Ziehen Sie nun von dem Ganzen einfach das Bewußtsein ab, dann haben Sie eine Vorstellung davon, was es heißt, ein bikameraler Mensch zu sein. Für ihn besteht die Welt in der Gesamtheit dessen, was ihm widerfährt, und ein unabtrennbarer Bestandteil davon ist sein eigenes Tun, das ohne jegliches Bewußtsein erfolgt. Und jetzt stellen Sie sich vor, daß auf einmal eine nie dagewesene Situation eintritt – weiter vorn auf der Straße hat ein Unfall stattgefunden, oder eine Straßensperre taucht auf, oder ein Reifen am Auto platzt, oder der Motor streikt – und siehe da!, unser bikameraler Mensch verhält sich nicht so, wie Sie und ich uns verhalten würden: Wir würden nämlich in jedem dieser Fälle unser Bewußtsein rasch und energisch der Sache zuwenden, um eine Narrativierung davon zu schaffen, was als nächstes zu tun sei. Er dagegen müßte auf die bikamerale Stimme warten, mit der seine aufgespeicherte praktische Lebensweisheit ihm ohne Dazwischenkunft von Bewußtsein mitteilen würde, wie er sich zu verhalten hat. …
Available on Amazon in the following countries:
Australia – Softcover & Kindle
Brazil – Kindle
Germany (also serving Austria, Belgium, Czech Republic, Liechtenstein, Luxembourg, Switzerland & Turkey) – Hardcover, Softcover & Kindle
India – Kindle
Italy – Hardcover, Softcover & Kindle
Mexico – Kindle
Netherlands – Kindle
Poland – Softcover
Spain & Portugal – Hardcover, Softcover & Kindle
United States – Hardcover, Softcover & Kindle
United Kingdom – Hardcover, Softcover & Kindle
The softcover edition can also be ordered wherever books are sold.